Ambitionslosigkeit zum Sozial-Gipfel in Porto - Deutschland bleibt zuhause

07.05.2021

Heute beginnt in Porto auf Betreiben der portugiesischen Ratspräsidentschaft nach 2017 wieder ein EU-Sozialgipfel. Viele Staats- und Regierungschefs haben sich auf den Weg dorthin gemacht. Kanzlerin Merkel schaltet sich allerdings nur per Video dazu.

Katrin Langensiepen, grüne Europaabgeordnete und stellvertrende Vorsitzende des Sozialschusses des Europaparlaments kommentiert:

"Der Gipfel in Porto ist eine Chance für eine sozialeres Europa. Denn die soziale Krise in der EU ist schon seit Jahren bittere Realität. Die Corona-Pandemie hat mehr denn je aufgezeigt, wie zerbrechlich das soziale Haus Europa ist. Deshalb muss Porto ein Signal setzen, die Europäische Union und ihren Binnenmarkt sozial gerechter zu gestalten. Doch Zögerlichkeit und Abwehrhaltungen bringen nicht weiter. Europa muss auch bei gemeinsamen Sozialstandards in Führung gehen. 

Sozialkommissar Nicolas Schmit, Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion Europas, ist hier recht ambitionslos unterwegs. Allein den Status quo zu benennen und die Rolle der Mitgliedsstaaten zu betonen - das ist zu wenig. Insbesondere für einen Kommissar, der die soziale Integration der gesamten EU vorantreiben und nicht nur verwalten möchte. Die Möglichkeiten der Europäischen Union im Bereich Sozialpolitik ins Auge zu fassen, das ist entscheidend. So entwickeln wir Europa weiter, jenseits der Wirtschaftsunion.

Auch Kanzlerin Merkel ist im Gegensatz zu vielen anderen Regierungschefs nicht in Porto. Wertschätzung und Ernsthaftigkeit gegenüber einer Sozialunion sieht anders aus.

Wer Ludwig Erhards Idee einer sozialen Marktwirtschaft dermaßen ignoriert, verpasst die Chance, aus einer Krise den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft sozial gerechter zu gestalten. Und der hat immer noch nicht verstanden, wie es um den mangelnden Schutz vieler Arbeitnehmer*innen in Fleischfabriken, auf den Feldern und Gewächshäusern, in der Pflege und vielen weiteren prekären Beschäftigungen aussieht.

Im letzten Jahr ist dafür oft der Begriff „systemrelevant“ gefallen. Sozialkommissar Nicolas Schmit glaubt, dass allein die Debatte in den Mitgliedsländern für mehr Konvergenz und etwas mehr Fairness ausreicht. Das ist nahezu naiv, in jedem Fall ist es aber Ambitionslosigkleit par exellence.

Konkreten Bestrebungen von Ländern wie Spanien, Italien und Portugal für eine stärke Sozialunion sind der Weg. Und besonders Frankreich, das sich für einen europäischen Mindestlohn einsetzt, nähren zumindest meine Hoffnungen, dass bald auch Menschen mit Behinderung EU-weit als Arbeitnehmer*innen mit einem Mindestlohn wirklich fair beschäftigt werden."

Link zum Interview mit Nicolas Schmit: https://www.deutschlandfunk.de/schmit-zu-eu-sozialgipfel-es-kann-keinen-einheitlichen.694.de.html?dram:article_id=496856