Syrien - Kriegsverbrecherprozess in Koblenz

"Es wird keinen Frieden geben, wenn es keine Gerechtigkeit gibt"

27.04.2020

Im Oberlandesgericht Koblenz läuft nun der Prozess gegen zwei Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes, denen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wird. 
Khaled Rawas, Syrischer Aktivist und ehemaliger Gefangener und Europaabgeordnete Katrin Langensiepen geben ihre Einschätzung:

Katrin Langensiepen,
Europaabgeordnete von Bündnis90/Die Grünen, stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments und Mitglied der Mashreq-Delegation kommentiert: 

Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das staatlich initiiert und organisiert, das ist die Dimension dieses Völkerstrafrechtsprozess in Koblenz, auf den die Welt schaut. Die deutsche Justiz ist dabei Maßstäbe bei der internationalen Verfolgung von Verbrechen dieser Art zu setzen. Gleichwohl wird sie die hohen Erwartungen vieler Syrierinnen und Syrer absehbar nicht erfüllen können. Dies allein auch dadurch, dass der Krieg in Syrien anhält und Beweissicherung und Überprüfungen kaum möglich sind. Dennoch es ist von enormer Bedeutung, dass internationales Unrecht – dieses Mal in Syrien - rigoros verfolgt und geahndet wird, dies in Deutschland, Europa und anderswo.”

Entscheidend bleibt nun, dass die für solche Prozesse wichtige Kooperation zwischen nationalen und internationalen Strafverfolgungsbehörden intensiviert wird. Die Verfolgung von Kriegsverbrechen in Syrien ist ein Punkt, der auch und gerade von der EU vorangebracht werden muss. Durch Russlands Veto können Prozesse wie diese nicht auf Ebene des Internationalen Strafgerichtshofs stattfinden. Umso wichtiger ist das Engagement und der Austausch zwischen den EU-Staaten. Auch ein umfassender Zeugenschutz bleibt ein immens wichtiger Aspekt, da das individuelle Sicherheitsgefühl – auch im vergleichsweisen sicheren Deutschland – durch die Skrupellosigkeit und das engmaschige Netzwerk des syrischen Regimes extrem empfindlich ist.“ 

Khaled Rawas, Syrischer Aktivist und ehemaliger Gefangener, unterstreicht:

„Dieser Prozess ist historisch und hat ein großes symbolisches Gewicht für das syrische Volk, aber auch für die Menschheit insgesamt. In 40 Jahren Geschichte ist dies nicht geschehen: Syrische Überlebende und Kriminelle treffen sich in einem Gerichtssaal.  Ich wurde zweimal in Syrien verhaftet, und ich kann sagen, es gibt mehrere Arten der Folter: Gewalt, sexueller Missbrauch, aber auch Zusammenleben mit 120 Menschen auf engstem Raum ist eine Art Tortur. Diese Dinge sind nicht Vergangenheit, sie geschehen immer noch in der Minute, in der wir sprechen. Was in Syrien geschah und geschieht, hat nichts mehr mit Syrien zu tun. Das sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Deshalb es ist so wichtig, mit aller Kraft dagegen anzugehen.  
Für uns ist dieser Prozess einen kleiner Hoffnungsschimmer. Auch wenn sich viele Menschen immer noch in syrischen Gefängnissen befinden, sendet er eine wichtige Botschaft. 

Doch der Prozess in Koblenz ist nur einer kleiner Schritt auf einem langen Weg. Wie viele andere Syrer*innen fühle ich mich in Deutschland nicht vollkommen sicher, weil ich weiß, dass ich immer noch von Kriminellen umgeben bin. Heute urteilen wir nur über zwei Personen. In Europa leben immer noch sehr viele Kriegsverbrecher, die nicht nur für Syrer*innen, sondern auch für die Gesellschaft im Allgemeinen gefährlich sind. Sie müssen verfolgt und verurteilt werden. Es wird keinen Frieden geben, wenn es keine Gerechtigkeit gibt.“