Im Aufwind: Forderung einer Reform des Werkstattsystems für Menschen mit Behinderungen

06.05.2021

Gestern am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, Interview in den Tagesthemen von Katrin Langensiepen:

 Link Interview Tagesthemen - ab 16:06: https://www.youtube.com/watch?v=-WftNWclWCY

Die Forderung nach einer Reform des aktuellen Werkstattsystems für Menschen mit Behinderungen wird bundes- und europaweit lauter. In Deutschland arbeiten derzeit über 300.000 Menschen mit Behinderungen in sogenannten Werkstätten. Dort haben sie keinen Arbeitnehmer*innen-Status oder Mindestlohn. Weniger als 1% der Menschen dort schaffen einen Übergang in den ersten Arbeitsmarkt. Das steht der UN-Behindertenrechtskonvention klar entgegen, die Deutschland und die EU vor über 10 Jahren ratifiziert hat. Laut Artikel 27 haben  „Werkstatt“- Beschäftigte das Recht darauf, „den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen“(Artikel 27 Abs.1). Sie dürfen nicht benachteiligt werden, steht im Grundgesetz (Artikel 3Abs.3 Satz 3 GG).

In ihrem Bericht, der im März im Europaparlament abgestimmt wurden, fordert Katrin Langensiepen demnach einen Arbeitnehmer*innen-Status und entsprechenden Mindestlohn für Menschen in Werkstätten.

In Deutschland stellen Menschen mit Behinderungen die gleiche Forderung und haben die Petition #StelltUnsEin auf change.org lanciert.

Die Urteile des  EuGH und des Bundesarbeitsgerichts bekräftigen die Forderung eines Arbeitnehmer*innnen-Status für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten (Urteil BAG 11.02.02, Az. 2AZR 667/02, S.4 - EuGH C 316/13, 26.03.2015)

Parallel dazu startet zu diesem Wochenende der europäische Sozialgipfel in Porto, bei dem auch der Punkt inklusiver Arbeitsmarkt ein Thema sein muss.


Europaabgeordnete Katrin Langensiepen, Vize-Vorsitzende des Sozialausschusses und der interparlamentarischen Gruppe von Menschen mit Behinderungen kommentiert:

„Deutschland wird nicht darum herumkommen, sein Werkstattsystem zu reformieren. Denn aktuell ist es nicht mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar. Menschen in Werkstätten haben das gleiche Recht auf einen Mindestlohn, Arbeitnehmer*innen-Status und einer Gewerkschaftsvertretung verdient, wie andere Beschäftigte auch. Progressive „Werkstatt“- Fachleute fordern seit 1984 ein existenzsicherndes Einkommen für die Beschäftigten. Das bedeutet eine tiefe Reform des aktuellen Systems.

Es geht nicht darum, Menschen auf die Straße zu setzen, sondern Wege zu finden, die menschenrechtskonform sind. Geld muss neu verteilt werden. Wir müssen hin zu einem neuen inklusiven Wirtschaftssystem, in dem Sozialunternehmen gestärkt werden, wo Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenarbeiten, entsprechend begleitet und als Arbeitnehmer*innen gleichwertig behandelt werden. Diesen Weg müssen wir gemeinsam mit den Werkstätten gehen, unterstützt und gefördert durch die Politik. Bis jetzt hat hier der politische Wille gefehlt.
Das wird ein steiniger Weg, aber zwingend notwendiger Weg. Dieser ist gemeinsam machbar. Die UN Vereinbarungen müssen hier der politische Kompass sein.

Europaweit müssen wir inklusive Wege stärker fördern - von der Schule bis hin zum Arbeitsmarkt. EU-Sozialkommissar Schmit hat die Staats- und Regierungschefs heute aufgefordert, sich verstärkt für ein „soziales Europa“ einzusetzen. Es muss klar sein, dieses soziale Europa muss für ALLE gelten. Der Gipfel in Porto sollte ein Auftakt dafür sein
.”


Bericht des Europaparlements von Frau Langensiepen: https://www.katrin-langensiepen.eu/de/article/147.europäisches-parlament-debattiert-über-inklusionsmaßnahmen-für-den-arbeitsmarkt.html 


Petition #StelltUnsEin: https://www.change.org/p/olafscholz-stelltunsein-ich-fordere-den-mindestlohn-für-menschen-in-behindertenwerkstätten