Menschenrechtsverletzungen in Pflege-Einrichtungen - Anhörung im Europaparlament

28.01.2021

In unserer gemeinsamen Anhörung des EMPL- und LIBE-Ausschusses des Europaparlaments, die ich heute geleitet habe, haben unterschiedliche Menschenrechtsorganisation klar unterstrichen: Die EU-Mitgliedstaaten sind ihrer Verpflichtung ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen in der Pandemie nicht nachgekommen.

Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) wies auf mehrere Menschenrechtsverletzungen hin. Auch wenn es einen erheblichen Mangel an vergleichbaren Daten gäbe, könne gesagt werden, dass die Mehrheit der Covid-19 Verstorbenen aus (Pflege-)Einrichtung kommen. Besonders zu kritisieren sei die mangelnde Unterstützung durch Schutzmaterialien und Tests, die Abschottung von Bewohner*innen und die teilweise Verweigerung von medizinischer Hilfe. Ein Beispiel sei die Klage von mehr als 300 Familien aus Spanien, deren erkrankte Angehörige gar nicht erst ins Krankenhaus gebracht worden seien. 

Leiterin der Anhörung, Grüne Europaabgeordnete Katrin Langensiepen, kommentiert:

„Was in den letzten Monaten an Menschenrechtsverletzung gegen ältere Menschen und Menschen mit Behinderung geschehen ist, kann die Europäische Union nicht hinnehmen. Um die Verstöße aufzuklären, fordere ich deshalb einen Untersuchungsausschuss. Jedoch sind mir als Politikerin und Vertreterin für Menschen mit Behinderungen in Europa oftmals die Hände gebunden. Denn für eine bessere rechtliche Basis auf EU-Ebene brauchen wir endlich eine übergreifenden EU-Antidiskriminierungsrichtlinie, die seit nun seit über 12 Jahren im Rat blockiert wird. 

"Die Pandemie hat schmerzlich das Resultat eines über Jahre unterfinanzierten Pflegesektors zur Schau gestellt. Der Mangel an Investitionen kostet uns jetzt Menschenleben. Was wir jetzt brauchen sind nicht nur schöne Strategien, sondern klare finanzielle Investitionen. Auch die EU muss Geld in die Hand nehmen und insbesondere Service-Leistungen und barrierefreies Wohnen außerhalb von Einrichtungen und dafür in den Gemeinden vor Ort fördern. Indem sie entscheidet, welche Projekte gefördert werden, kann die EU vorgeben, wo die Reise hingeht.
Die UN-Behindertenkonvention sagt klar und deutlich: Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf ein eigenständiges Leben außerhalb von Einrichtungen. Deshalb muss die EU aufhören, Einrichtungen zu finanzieren, die sich zu Todesfallen entpuppt haben. Pflegekräfte, Assistenten und Angehörige vor Ort müssen stärker staatlich unterstützt und entlastet werden.“


Reaktion der EU-Kommission: Die Vize-Präsidentin der EU-Kommission Dubravka Šuica sprach sich für einen Wandel in der Pflegebranche aus und verwies auf Grünbuch zum Umgang mit den Folgen der Bevölkerungsalterung, das gestern veröffentlicht wurde. Außerdem kündigte sie ein EU-Projekt zur Untersuchung des wachsenden Problems der „Einsamkeit“ an. 

Kommissarin für Gleichstellung Helena Dalli versprach, dass in der neuen EU-Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen ein Schwerpunkt auf „Desinstitutionalisierung“ liegen würde und auf die Förderung eigenständigen Lebens von Menschen mit Behinderungen außerhalb von Einrichtungen.