Triage Debatte - Bundesregierung macht sich einen schlanken Fuß

18.12.2020

Während sich die Situation in den deutschen Krankenhäusern zuspitzt, verkündet Bundesjustizministerin Lambrecht sie sähe keine Notwendigkeit dafür, dass der Bundestag sich mit Triage-Regelungen in Kliniken befasst. 

Katrin Langensiepen, Grüne Europaabgeordnete, Vize-Vorsitzende des Sozialausschusses und der interparlamentarischen Gruppe für Menschen mit Behinderung kommentiert:

„Die Aussage von Bundesjustizministerin Lambrecht ist absolut nicht nachvollziehbar und verantwortungslos. Die Bundesregierung darf sich bei so einem wichtigen Thema, bei dem es um Menschenleben geht, nicht raushalten. Bereits Anfang des Jahres lehnte Bundesminister Spahn ein Gesetzt zu Triage ab. Damit wird das Schicksal von Bürgerinnen und Bürger in die Hände der medizinischen Fachgesellschaften gelegt- einem Gremium von Personen, das von niemandem demokratisch gewählt wurde. 

Noch dazu kommt, dass die medizinischen Empfehlung hoch umstritten sind. Gerade Menschen mit Behinderung mit Vorerkrankungen sehen sich bei den Empfehlungen diskriminiert, da sie per se schlechtere Erfolgschancen bei der Behandlung haben. Zurecht klagt hier beispielsweise Nancy Poser vor dem Bundesverfassungsgericht. 
Wie zu den Corona-Maßnahmen brauchen wir dringend eine politische Debatte, wie wir mit Entscheidungen in überlasteten Kliniken umgehen. 

Mit ihrer Tatenlosigkeit schließt sich die Bundesregierung leider einem EU-weiten Trend an. Diskriminierungsfälle durch Triage sind in der ganzen EU bekannt.
Über Berichte aus Spanien wissen wir beispielsweise, dass Menschen mit Voerkrankungen aus Heimen gar nicht erst ins Krankenhaus gebracht wurden. Auf meine Frage an den Rat der Europäischen Union, ob diese Fälle nachverfolgt würden, bekam ich nur die kühle Antwort (anbei), dass der Rat Informationen aus Medienberichten nicht kommentiere.
Auch wenn in solchen Fällen klar gegen Menschenrecht verstoßen wird, sind uns auf EU-Ebene die Hände gebunden, da die EU noch keine Kompetenz im Gesundheitsbereich besitzt. Deshalb brauchen wir dringend eine starke Gesundheitsunion, die beispielsweise auch Triage-Empfehlungen geben kann, um Diskriminierungsfälle und Verstöße gegen Menschenrecht vorzubeugen."

Meine Frage an den Rat: 
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-9-2020-003528_DE.html 

Anfrage zur schriftlichen Beantwortung E-003528/2020 an den Rat
Artikel 138 der Geschäftsordnung
Ernest Urtasun (Verts/ALE), Katrin Langensiepen (Verts/ALE)
Betrifft: COVID-19-Protokoll von Madrid – Triage

Informationen von infoLibre zufolge ließ die Regionalregierung von Madrid am 18. März 2020 allen Altenheimen ein Protokoll mit den Ausschlusskriterien für die Überweisung von Patienten ins Krankenhaus im Zusammenhang mit COVID-19 zukommen, dem zufolge Schwerkranke und Personen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen ausgenommen wurden. Vom 25. bis zum 30. März starben 1 364 Bewohner von Altenheimen in Madrid. Nur 13 % von ihnen waren ins Krankenhaus gebracht worden. Die Triage widerspricht eindeutig den Grundsätzen der Gleichheit vor dem Recht und der Nichtdiskriminierung im Sinne der Charta der Grundrechte der EU (Artikel 20 und 21) und des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (VN-BRK) (Artikel 5). Darüber hinaus steht die Triage im Widerspruch zu dem Recht aller auf Leben (Artikel 2 der Charta) – ungeachtet des Alters oder einer Behinderung. Dem VN-BRK zufolge sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, „alle erforderlichen Maßnahmen [zu ergreifen], um in Gefahrensituationen, einschließlich [...] humanitärer Notlagen [...], den Schutz und die Sicherheit von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten“ (Artikel 11).

1. Hat der Rat Kenntnis von Triage-Verfahren in anderen spanischen Regionen oder Mitgliedstaaten?

2. Hat er weitere Maßnahmen ergriffen, um für eine uneingeschränkte Einhaltung des VN-BRK zu sorgen und diese diskriminierende Triage in Gesundheitssystemen zu verhindern?

Antwort des Rates
DE
E-003528/2020
Antwort (7.9.2020)

Es ist nicht Sache des Rates, zu Presseberichten Stellung zu nehmen. Ungeachtet dessen sei daran erinnert, dass die Verantwortung für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung bei den Mitgliedstaaten liegt.